Schloss Mannheim, Westflügel um 1930, MARCHIVUM, Bildsammlung, KF021973.

NS-Justiz in Baden

Die Sondergerichte Mannheim und Freiburg

Aktendeckel aus Weimarer Republik, 1920,
LABW, GLAK, 309 Nr. 1216.

Aktendeckel aus NS-Zeit, 1938,
LABW, GLAK, 507 Nr. 2904.

Aktendeckel aus BRD, 1954,
LABW, GLAK, 309 Mannheim Nr. 5997.

Alles dasselbe?

Auf den ersten Blick scheint sich wenig verändert zu haben. Die Aktendeckel sehen fast identisch aus: dieselbe Farbe, dieselbe Aufschrift, dasselbe Format. Kann man daraus schließen, dass – wie ihre Aktendeckel – auch die deutsche Justiz über die politischen Umbrüche von Demokratie zur Diktatur und zurück zur Demokratie nahezu gleich blieb?

Wenn die deutsche Justiz scheinbar ungebrochen durch alle politischen Systeme hindurch bestand:

Können wir dann überhaupt in Bezug auf den Nationalsozialismus von einer Unrechtsjustiz sprechen?

Was ist eigentlich Unrechtsjustiz?

Die Justiz umfasst alle staatlichen Einrichtungen, die für die Rechtsprechung und deren Durchsetzung verantwortlich sind. Dazu gehören Gerichte, Staatsanwaltschaften, der Justizvollzug und weitere Institutionen der Strafrechtspflege. Ihre zentrale Aufgabe ist es, unabhängig, gerecht und fair über Schuld und Strafe zu entscheiden und somit Recht zu sprechen.

In unserem heutigen Verständnis orientiert sich Recht an grundlegenden Werten: Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit. Diese Werte müssen durch den Staat geachtet, geschützt und garantiert werden. Werden sie missachtet, sprechen wir von Unrecht.

Doch kann eine Justiz, genauso wie sie Recht spricht, auch Unrecht sprechen? Kann das so weit gehen, dass Unrecht nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist? Dass daraus ein ganzes System des Unrechts entsteht – eine Unrechtsjustiz?

Bildausschnitt vom Volksgerichtshof, Prozess zum 20. Juli 1944, Bundesarchiv, Bild 183-64425-0001 / CC-BY-SA 3.0.

Sondergericht Mannheim

Bildausschnitt von der Rede Adolf Hitlers zum Ermächtigungsgesetz, Bundesarchiv, Bild 102-14439 / CC-BY-SA 3.0.

RGBI. I, 1933, S. 136, online aufrufen.

„§ 1

Für den Bezirk jedes Oberlandesgerichts wird ein Sondergericht gebildet.

[…]

§ 2

Die Sondergerichte sind zuständig für die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 83) und der Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom 21. März 1933 bezeichneten Verbrechen und Vergehen […].“

Sondergerichte waren keine Erfindung der Nationalsozialisten. Bereits in der Weimarer Republik konnten sie in lokalen Ausnahmesituationen wie politischen Unruhen oder wirtschaftlichen Krisen kurzfristig zum Einsatz kommen.

RGBI. I, 1932, S. 404, online aufrufen.

RGBI. I, 1932, S. 550, online aufrufen.

Mit der Machtübernahme 1933 wandelten die Nationalsozialisten diese Gerichte grundlegend um. Sondergerichte wurden nun dauerhaft im gesamten Deutschen Reich und während des Weltkriegs auch in den besetzten Gebieten eingerichtet. Die gesetzliche Grundlage war die „Verordnung über die Bildung von Sondergerichten im Deutschen Reich“ vom 21. März 1933. Diese ordnete an, in jedem Oberlandesgerichtsbezirk des Deutschen Reiches ein Sondergericht einzurichten.

Während es 1933 zunächst 26 solcher Gerichte gab, stieg ihre Zahl im Verlauf der NS-Herrschaft auf 74 an.

Das Video zeigt die deutschen Grenzen im Jahr 1937. Orange Punkte markieren die 1933 eingerichteten Sondergerichte, blaue Punkte die bis 1945 hinzugekommenen.

Karte über die Standorte der Sondergerichte

Doch welchem Zweck dienten die Sondergerichte?

Die NS-Führung nutzte sie als zentrales Mittel, um die eigene Macht schnell und effektiv abzusichern und den alleinigen Herrschaftsanspruch der NSDAP durchzusetzen.

Dies geschah durch die präventive und gezielte Verfolgung sowie Bestrafung politischer Gegner und Regimekritiker. In den Anfangsjahren waren davon insbesondere Kommunisten und Sozialdemokraten betroffen. Ziel war die Zerschlagung der politischen Opposition und die Errichtung eines Einparteienstaats.

Bildausschnitt von der Schaufahrt ins KZ Kislau am 16.05.1933, Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 5/29b.

RGBI. I, 1933, S. 83, online aufrufen.

RGBI. I, 1933, S. 135, online aufrufen.

Entsprechend richteten sich auch die Straftatbestände der „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28. Februar 1933 und der „Heimtückeverordnung“ vom 21. März 1933 gezielt gegen Regimekritiker und das linke politische Spektrum. Diese Verordnungen schränkten sowohl zentrale Grundrechte wie die Versammlungs- und Pressefreiheit als auch Persönlichkeitsrechte wie die Unverletzlichkeit der Wohnung oder das Briefgeheimnis ein und ermöglichten hierdurch Verhaftungen ohne richterlichen Beschluss.

Aufgrund der politischen Verhältnisse entschied sich die badische Landesregierung bewusst gegen die Hauptstadt Karlsruhe und für Mannheim als Sitz für das Sondergericht. In der als Hochburg der Arbeiterbewegung bekannten Stadt erwartete man eine stärkere Unterstützung für SPD und KPD und damit eine höhere Zahl an Verfahren gegen politische Gegner.

Mannheim Wasserturm, MARCHIVUM, Bildsammlung, GP00141-019.

Bildausschnitt von Schloss Mannheim, 1938, MARCHIVUM, Bildsammlung, GP00141-088.

Bereits am 30. März 1933, nur wenige Tage nach der Bekanntgabe der Verordnung zur Errichtung von Sondergerichten, wurde das Sondergericht Mannheim als Spezialkammer beim Landgericht Mannheim im Schloss eingerichtet.

Nach und nach weitete das NS-Regime den Kreis der Verfolgten aus. Neben sozialdemokratischen und kommunistischen Sympathisanten wurden nun auch weltanschauliche Gegner wie Repräsentanten der Kirche, religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas, aber auch weitere unliebsame Bevölkerungsgruppen verfolgt und vor den Sondergerichten angeklagt. Ziel war es, durch Ausgrenzung von aus NS-Sicht unerwünschten Teilen der Bevölkerung das Leitbild einer „Volksgemeinschaft“ umzusetzen.

Verhaftung von Kommunisten durch die SA in Berlin am 6. März 1933, Bundesarchiv Bild 102-02920A / CC-BY-SA 3.0.

Sondergericht Freiburg

Bildausschnitt von einem Fackelzug vor dem Amtsgericht Freiburg, 1938, Stadtarchiv Freiburg, M 732 22782 3.

Im November 1938 wurde die Zuständigkeit der Sondergerichte erheblich ausgeweitet, sodass die Staatsanwaltschaft theoretisch jede Straftat vor ein Sondergericht bringen konnte. Um einer Überlastung des Sondergerichts Mannheim angesichts der seit Kriegsbeginn gestiegenen Verfahrenszahlen vorzubeugen, wurde Ende 1940 ein zweites Sondergericht in Baden eingerichtet. Die Wahl fiel auf das im Süden gelegene Freiburg im Breisgau, das die Zuständigkeit für die Landgerichtsbezirke Freiburg, Konstanz, Offenburg und Waldshut übernahm.

Bildausschnitt von der Maifeier auf dem Münsterplatz in Freiburg, 1939, Stadtarchiv Freiburg, M 75-1 K. 11a.

RGBl. I, 1939, S. 1683, online aufrufen.

RGBl. I, 1939, S. 1679, online aufrufen.

RGBl. I, 1939, S. 1609, online aufrufen.

RGBl. I, 1939, S. 2378, online aufrufen.

Mit Kriegsbeginn traten weitere Verordnungen in Kraft, die für einen Anstieg der Sondergerichtsverfahren sorgten.

Bekanntmachung über eine Hinrichtung, LABW, StAF A 47/1 Nr. 1072, online aufrufen.

Diese führten neue Straftatbestände ein und sahen hohe Strafen bis hin zur Todesstrafe vor. Ein besonders drastisches Beispiel war die „Volksschädlingsverordnung“ vom 5. September 1939. Sie ermöglichte es, selbst vermeintlich geringfügige Delikte mit schwersten Strafen zu ahnden, sofern dabei die „außergewöhnlichen Verhältnisse“ des Krieges ausgenutzt wurden.

RGBI. I, 1939, S. 1679, online aufrufen.

Berliner Guillotine („Tegel-Fallbeil“), um 1940, © Förderverein Strafvollzugsmuseums Ludwigsburg e.V.

So konnte etwa ein Diebstahl während eines Fliegeralarms als Angriff auf die „Volksgemeinschaft“ gewertet und mit dem Tod bestraft werden. Auch weitere neu in Kraft tretende Verordnungen, führten zu nach heutigem Ermessen überzogenen Strafen und trugen so insgesamt zu einer deutlichen Verschärfung des Strafmaßes bei.

Die Geschichte der Sondergerichte Mannheim und Freiburg wird in vielen einzelnen Schicksalen erzählt. Heute können wir sie in den ehemaligen Gerichtsakten wiederentdecken.

Hier kannst Du eine Geschichte finden, die Dich interessiert,

und hier erklären wir Dir, wie Du die Akten entschlüsseln kannst.

Akten zum Sondergericht Mannheim, Bestand 507 im Generallandesarchiv Karlsruhe, Foto: Tim Laubscher